Geistliches Wort zum Monat Juni Mit offenen Augen


Alauda arvensis – die Feldlerche. Irgendwo weit über mir muss sie als kleiner schwarzer Punkt am Himmel stehen. Aber so genau ich auch nach ihr Ausschau halte – ich kann sie nicht entdecken. Dafür erfüllt ihr Gesang die Luft, unermüdlich. Ein Trillern und Tirilieren, Strophe um Strophe, als brauche sie nicht atmen. Von allen Seiten klingt es über die Feldmark, ohne dass ich eine klare Richtung ausmachen könnte. Ich kann sie nicht sehen, aber irgendwo dort oben muss sie sein.

Veni, Sancte Spiritus. Auch Latein. Aber kein Tiername, sondern ein uralter Gesang zum Pfingstfest, das wir gerade gefeiert haben: „Komm, heiliger Geist!“ Seit bald einem halben Jahr tragen wir die Worte der Jahreslosung auf den Lippen, die uns erinnert: Gott weiß. Gott versteht. Gott begleitet: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13). Und doch bleibt es eine Herausforderung, dass die Umkehrung für gewöhnlich nicht zutrifft: Wir können Gott nicht sehen. Der Apostel Paulus war der Meinung, dass es schon genüge, einen offenen Blick in die Welt zu werfen, um zu erkennen, dass es einen Gott geben muss. Bezeugt die Schöpfung nicht ihren Schöpfer? So wie das Lied der Lerche, das mir sagt, irgendwo dort oben muss sie verborgen sein, auch wenn ich sie nicht sehen kann? Aber ganz so einfach ist es nicht, sonst würden die Zoologen und Botaniker dieser Welt die Kirchen füllen. Alles steht und fällt damit, in welchem Geist wir leben und aus welchem Geist heraus wir deuten, was uns begegnet. An Pfingsten feiern wir, dass die Idee eines Schöpfergottes keine abstrakte Theorie für uns bleibt und wir Jesus als mehr erleben können als eine historische Persönlichkeit oder einen Weisheitslehrer. Wo Gottes Geist in unsere Herzen weht, sehen wir die Welt mit anderen Augen. Dann werden uns die Wunder in Feld, Wald und Wiese nicht nur zur Freude, sondern zur Stärkung. Denn wir gehören zu dem Gott, der sie gemacht hat. Wo Gottes Geist in mein Herz weht, blicke ich auf mein Leben und beginne Muster zu sehen, wo vorher nur lose und abgerissene Fäden zu sein schienen. Denn ich kenne den, der alles heil macht, wo seine und meine Geschichte sich miteinander verweben. Mitunter sind gerade die größten Fragezeichen meines Lebens Spuren, die mich zu ihm führen. Das möchte ich verstehen. Komm, heiliger Geist!

Stellaria holostea – die Sternmiere. Am Wegesrand streckt sie ihr kleines gelbes Gesicht mit weißen Blüten in die Luft:  Zehn Blütenblätter, je zu zweit zu fünf Sternzacken angeordnet. Hunderte, tausende nebeneinander. Seitdem der Frühling gekommen ist, habe ich auf meinen Spaziergängen begonnen, mir all das, was in der Natur um mich herum erwacht, etwas genauer anzusehen. Stadtkind, das ich bin, unterscheide ich gerade eben noch „Blume“,  „Strauch“ und „Baum“. Nun bekommen die Pflanzen nach und nach einen Namen. Mein neuester Fund ist die Sternmiere. Nie zuvor von ihr gehört und nun fällt sie mir auf Schritt und Tritt auf, überall. Weil ich einmal innegehalten und nach ihr gefragt habe. Manchmal ist das alles, was es braucht, um die Augen geöffnet zu bekommen.

Herzlich
Ihr und Euer Pastor Konrad Otto


Wenn die Augen des Herzens in der Natur aufgehen… Bereits jetzt die Einladung zum Pilgertag im Sachsenwald mit den Pastoren Christoffer Sach und Konrad Otto am 12. August. Infos und Anmeldung im Kirchenbüro.